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Was Montessori-Pädagogik und digitales Lernen miteinander verbindet - und warum davon auch schon Grundschüler profitieren
Nienhuis Deutschland | 4 August 2021„Grundschule, Montessori-Pädagogik und Digitalisierung, geht das zusammen? Sehr gut sogar - sagt jemand, der es wissen muss: Jana Reiche ist Leiterin der Landweg-(Grund-)Schule in der Prignitz, Brandenburg, und sie beschäftigt sich seit den Schulschließungen im vergangenen Jahr mit den Möglichkeiten, die digitale Medien den Schülerinnen und Schülern ihrer Montessori-Schule bieten - und zwar so intensiv, dass daraus unter anderem ein eigener Youtube-Kanal erwuchs. Wir sprachen mit der Pädagogin."
News4teachers: Viele Menschen denken im Bezug auf Montessori-Pädagogik sicherlich erst einmal an die sogenannten Entwicklungsmaterialien, mit denen die Kinder möglichst selbstständig lernen. Wie passen digitale Medien dazu?Jana Reiche: Wir leben in einem digitalen Zeitalter. Auch im Grundschulalter kommen Kinder täglich mit digitalen Medien in Berührung. Sie gehören zu ihrer Lebenswelt und werden auch in ihrer Zukunft eine große Rolle spielen. Und in der Primarstufe werden die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass Kinder den Herausforderungen dieser digital geprägten Zukunft gewachsen sind. Das gilt auch für Montessori-Grundschulen und deshalb kommt auch in unserem schulischen Alltag digitale Technik zum Einsatz. Wussten Sie übrigens, dass unter anderem die beiden Google-Gründer Larry Page und Sergej Brin Montessori-Schüler waren?
News4teachers: Dann ist die Reformpädagogik ja quasi prägend für die Digitalisierung gewesen.
Jana Reiche: Vielleicht, auf jeden Fall schafft sie die Voraussetzung für einen gelingenden Prozess. Wer sich mit Digitalisierung von Lernabläufen beschäftigt, wird sich auf die Leitlinien moderner Lernkultur beziehen, die aktuell unter anderem im Hagener Manifest der Fernuniversität Hagen beschrieben werden. Diese Leitlinien sind in den meisten Konzepten der Reformpädagogik des vergangenen Jahrhunderts zu finden, so auch bei Maria Montessori. Es geht unter anderem um vernetztes und lebenslanges Lernen und Zugänge für alle. Larry Page sagte einmal, er führe den Erfolg seines Unternehmens auch auf die Selbstmotivation, das Abweichen von vorgegebenen Regeln und das kritische Hinterfragen des Geschehens in der Welt zurück – alles Dinge, die er schon als kleines Kind an seiner Montessori-Schule gelernt habe. Dieses Selbstverständnis hilft im digitalen Raum.
News4teachers: Wie lassen sich denn die „Leitlinien moderner Lernkultur“ an einer Montessori-Schule ins Digitale übertragen?
Reiche: An Montessori-Schulen gilt, was auch für die Nutzung digitaler Medien gelten sollte. Dazu gehört zum Beispiel, dass es für Aufgaben eine räumliche und zeitliche Orientierung, häufig auch ein unmittelbares Feedback, gibt. Das Gleichgewicht zwischen der Schwierigkeit der Aufgabe und den Möglichkeiten, die das Kind gerade hat, sie zu bewältigen, sollte außerdem sichergestellt sein. Wichtig ist, dass das Kind im Sinne Maria Montessoris die Möglichkeit hat, selbst zu entdecken und eigenständig tätig zu sein. Wenn es also beispielsweise um den Distanzunterricht geht, ist der reine Einsatz digitaler Technik nur ein Aspekt. Es müssen zunächst Grundlagen vorhanden sein. Das bestätigen auch einige Studien. Sie geben Anlass zur Vermutung, dass ohne Vorwissen und ohne die Fähigkeit, eigene Lernprozesse zu steuern, die Lernwirksamkeit durch digitale Medien eher minimiert wird.
News4teachers: Wie gehen Sie an Ihrer Montessori-Schulen konkret an das Thema Digitalität heran?
Reiche: An Montessori-Schulen beginnt die Einführung in ein neues Thema grundsätzlich mit der Würdigung der Kulturleistung einzelner Menschen. Deshalb erzählen wir die Geschichte der Entstehung des Computers und die ist ja auch wirklich spannend. Dazu kommen viele Fragen: Welche Rolle spielt der Computer heute? Welche Gefahren und welche Möglichkeiten birgt das Internet? Was bedeutet verantwortliche Kommunikation im Internet? Wenn Kinder gelernt haben, sich sozial angemessen zu verhalten, werden sie diese Umgangsformen auch im digitalen Raum nutzen. Und Kinder, die Texte kritisch lesen können, werden sich auch nicht von gezielten Falschmeldungen beeindrucken lassen. Da wir das Schreiben von Informationstexten und nicht YouTube im Rahmenlehrplan stehen haben, üben wir da schon Quellenverständnis und kritisches Lesen, bevor wir uns in den digitalen Raum begeben.
Im nächsten Schritt sollen sich die Kinder mit der Technik vertraut machen. Zwei bis drei Schreibplätze gibt es dazu im Klassenraum. Die Kinder lernen die Regeln für die Benutzung und benutzen die Technik dann, wenn sie zu einem für ihren Lernprozess sinnvollen Einsatz kommt. Wir Lehrer*innen beobachten die Schülerinnen und Schüler und leiten daraus Handlungsmöglichkeiten ab. Und natürlich lernen auch wir von unseren Schülerinnen und Schülern.
News4teachers: Und wie sieht guter Distanzunterricht aus Montessori-Sicht aus?
Reiche: Im Distanzunterricht ist Kreativität gefragt. Uns kommt entgegen, dass es an Montessorischulen zugunsten der eigenständigen Lernprozesse keine Fächerstruktur gibt. Wir bieten verbindliche Übertragungssysteme mit einer offenen Angebotsstruktur an, wie z.B. das Padlet und feststehende Zeitstrukturen für den Austausch in Videokonferenzen. Individuelle Absprachen für individuelle Fragen sind selbstverständlich und Teil einer gelingenden Lernkultur.
Übungssoftware ist lediglich für die Routinisierung von Wissen zu empfehlen. Das Programm sollte zudem selbsterklärend und übersichtlich sein und direkte Fehlerkontrollen ermöglichen. Ob KI-basierte Lernprogramme für uns geeignet sind, klären wir gerade. Sie könnten interessant sein, weil sie individuelle Leistungseinschätzungen vornehmen und geeignete Folgeaufgaben aus den Ergebnissen ableiten.
Am besten eignen sich aus meiner Sicht Aufgabenformate und Forscheraufträge, die mit der Lebenswelt der Kinder zu tun haben. Im Frühjahr bietet sich zum Beispiel eine Langzeitbeobachtung zur Pflanze an. Fast jedes Kind hat ein eigenes Thema, in dem es Experte ist oder werden kann. Das ermöglicht eigenständiges Forschen und die Frage: Was interessiert dich? Die Darstellungsmöglichkeiten sind durch die digitalen Optionen vielfältig, von der Fotoausstellung, über digitale Buchgestaltungen bis hin zu kleinen Filmprojekten.
News4teachers: Und wie findet der Austausch statt?
Reiche: Offene Aufgabenformate eignen sich prima als Anlass für Besprechungen und Präsentationen: Vorträge, Buchvorstellungen und Gespräche zu Texten sind auch im digitalen Raum hervorragend machbar. Und bei der Gelegenheit lässt sich auch das Thema respektvolles Feedback gut einbringen. Zu einer Videokonferenz können auch Expertinnen und Experten eingeladen werden. Kinder lernen gerne von echten Profis.
Aber es muss nicht immer das Life-Format sein: Kleine Lehrvideos zu komplexen Themenbereichen oder Themenvorstellungen helfen, Abläufe zu verstehen und machen unsichtbare Vorgänge sichtbar. Sie haben den großen Vorteil, dass das Kind jederzeit wiederholen, den Lehrenden aber auch abschalten kann.
Im Endeffekt geht es darum, über die digitalen Wege Wissen miteinander zu teilen. Das ist ein gemeinsamer Lernprozess, an dem Lehrkräfte, Kinder und Eltern gestaltend beteiligt sind. So, finde ich, entsteht im klassischen Sinne Teilhabe.
Zur Person
Als Schulleiterin der Landweg-Schule in der Prignitz, Brandenburg, ist Jana Reiche seit 20 Jahren beteiligt an bildungspolitischen Diskussionen. Seit 2019 ist ihre Schule ein von der UNESCO ausgezeichneter BNE-Lernort.
https://www.youtube.com/watch?v=uK0d77s5uG8
Seit dem Frühjahr 2020 und den neuen Herausforderungen an der Schule hat sie sich intensiv mit Digitalisierungsprozessen an Grundschulen beschäftigt. Sie gehört zur Gruppe „Die Schulentwickler“, deren Projekt bereits in der KMK und dem BMFB vorgestellt wurde. In einem deutschlandweit einmaligen Vernetzungsprozess hat sie sich mit Schulleiterinnen anderer Montessorischulen über den Bundesverband Montessori vernetzt. Dort werden monatlich u.a. aktuelle Fragen an die Digitialisierung diskutiert.
Mit ihrem Kanal „ReicheReformpädagogik“ gehört sie zur Szene der YouTuberinnen, entstanden aus Notwendigkeit wegen der Schulschließung. Jana Reiche ist Mitglied im Landesverband Montessori Berlin- Brandenburg und in Trägerverantwortung im Landweg e. V..
Der Beitrag stammt von News4teachers und wird mit freundlicher Genehmigung der Redaktion hier veröffentlicht.